Papiertheater Heringsdorf
Papiertheater Heringsdorf
Alles begann schon vor etlichen Jahren. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich den ersten Kontakt zum Papiertheater bekam. Nur eins weiß ich, es war im Kulturhistorischen Museum in Stralsund. In einer Vitrine der Spielzeugabteilung war hier ein Papiertheater ausgestellt und an dessen Scheibe habe ich mir als kleiner Junge die Nase plattgedrückt. Von da an wollte ich so ein Theater haben. Nur, wie es nun Mal so ist mit Dingen, die man als Kind unbedingt haben möchte, man bekommt sie oft nicht. Statt einem Papiertheater bekam ich das Handpuppentheater meiner großen Schwester, welches schon einige Jahre auf dem Boden sein Dasein gefristet hatte. Es hatte, anders als später üblich, noch Handpuppen mit geschnitzten Köpfen. In meinen Augen war das aber ein kläglicher Versuch mich von meinem eigentlichen Wunsch abzulenken. Ich wusste eben nicht, dass es Papiertheater gar nicht mehr gab und dass man sie, auch wenn man sich noch so bemühte, nicht mehr bekommen konnte.
Die Jahre vergingen und aus dem kleinen Jungen wurde ein Erwachsener. Der Wunsch aus Kindertagen war mittlerweile in Vergessenheit geraten. Mann hatte neue Interessen und auch andere Hobbys. Bei mir war es die Geschichte, die mich faszinierte und interessierte. Hierbei handelt es sich speziell um das 19. Jahrhundert. So kam es, daß ich mit Anderen von Zeit zu Zeit das Rad der Geschichte zurückdrehe und für einige Tage so lebe wie es zu dieser Zeit üblich war. Dabei kleiden wir uns so und leben in Häusern, die genauso eingerichtet sind, wie die zu jener Zeit. Bei meinen Recherchen zu so einer Zeitreise stieß ich zufällig wieder auf das Papiertheater. Auf einmal war die Erinnerung an den Wunsch aus Kindertagen zurück.
Gibt es so etwas heute tatsächlich nicht mehr? Ich begann nun mit meiner Suche im Netz. Wie staunte ich, als ich fündig wurde. Es lebe die moderne Technik, die doch so Einiges vereinfacht. Google spuckte tatsächlich etliche Ergebnisse zum Thema aus. Ich begann die einzelnen Seiten nacheinander durchzulesen. Auf irgendeiner Seite stieß ich bei den Links auf den Shop von Dirk Reimers - "Pollidor's Papier Curiosa" . Nach einigem Überlegen rief ich bei der auf der Seite angegebenen Telefonnummer an. Bereitwillig erklärte Herr Reimers mir Alles. Er gab mir noch eine Buchempfehlung mit auf den Weg und ich machte meine erste Bestellung bei ihm. Diese umfasste neben Figurenbögen und einigen Kulissen auch den Reprint des Königlichen Theaters von Alfred Jacobsen aus dem Jahr 1880. Auch Amazon erhielt an jenem Tag eine Bestellung. Nach zwei Tagen kam das von Herrn Reimers empfohlene Buch "Vom Umgang mit dem Papiertheater" an. Es kommt selten vor, dass ich ein Buch nicht aus der Hand legen kann, aber bei diesem traf es zu. Zwischen Erhalten und Durchlesen vergingen nicht einmal 6h. Ich verschlang es förmlich.
Am Tag darauf kam meine Bestellung von Pollidor an. Man stelle sich einen Erwachsenen Mann von 36 Jahren vor, dessen Augen strahlen, wie die eines Kindes am Weihnachtsabend, wenn es unter dem Tannenbaum genau das findet, was es sich so sehnsüchtig gewünscht hat. Nur war bei mir nicht Weihnachten sondern September. Zum damaligen Zeitpunkt wohnte ich noch in Greifswald genau im Zentrum. Unweit meiner damaligen Wohnung befand sich das Geschäft „Papierhaus“, in dem ich mir die notwendigen Dinge zum Basteln eines Papiertheaters, wie Pappe, Kleber und Schneidewerkzeuge besorgte. Aus dem Baumarkt holte ich mir Leisten und Sperrholz zum Bau meiner ersten Bühne. Eine einfache Bauanleitung hatte ich mir zuvor aus dem Netz gezogen, denn die im Buch beschriebene Bühne von Max Eickemeyer war mir zu kompliziert. Seit der Schulzeit hatte ich mich nur noch am Rande mit handwerklichen Dingen befasst. Ich verfügte auch nicht über geeignetes Werkzeug, um diese Bühne zubauen. Nach Stralsund fuhr ich auch und wollte mir das Theater, das mich früher in seinen Bann gezogen hatte, ansehen.
Vielleicht könnte ich einige Bilder davon machen. Mit Glück ließe sich das eine oder andere davon auch umsetzen. Man stelle sich meine Enttäuschung vor, als ich in dem Museum, in dem sich früher das Objekt meiner Wünsche befand, nicht mehr fündig wurde. Den Teil, der sich mit dem Spielzeug befasste, hatte man geschlossen und ausgelagert. Alles was dort war, solle sich jetzt in einem Speicher befinden und irgendwann an einem anderen Ort wieder ausgestellt werden. Man konnte mir aber auch nicht sagen, wann und wo dies sein würde. Ich fuhr enttäuscht und unverrichteter Dinge wieder zurück nach Greifswald.
Relativ schnell zimmerte ich nun meine erste Bühne zusammen und war stolz auf mein Werk. Es war weder perfekt noch hätte ich einen Preis dafür bekommen. Mir aber genügte es vorerst völlig. Für die Beleuchtung der Bühne, nutzte ich zwei Klemmlampen. Auch war, meine erste Bühne schon mit einer Versenkung ausgestattet. Leider funktionierte diese nicht immer so reibungslos, wie ich es mir wünschte, doch immerhin hatte ich sie.
Jetzt wollte ich sie auch nutzen. Es mussten Stücke her. Bei zvab stieß ich auf Hefte von Schreiber, die sogar teilweise noch die Figuren enthielten. Kurzerhand bestellte ich diese. Es waren die Hefte zu den Stücken "Die Reise in 80 Tagen um die Welt" und "Die Kinder des Kapitän Grant". Jene Bücher von J.Verne hatte ich als Kind schon gern gelesen und nun sollten sie als Erstes auf meiner Bühne zur Aufführung kommen. So lernte ich durch das Spiel den Umgang mit dem Papiertheater. Trotzdem war ich noch meilenweit davon entfernt, Vorstellungen für andere zu geben. Erst einmal übte ich für mich, im sprichwörtlichen "stillen Kämmerlein".
Meine Suche war aber immer noch nicht zu Ende. Mittlerweile fand ich immer mehr im Internet. Da mich von Anfang an die dänischen Bögen faszinierten, suchte ich danach. Irgendwann kam ich auf der Seite von Priors an. Mit Freude stellte ich fest, dass dort ganze Stücke zu bekommen wären und noch dazu mit deutschem Text. Irgendwo auf der Seite fand ich dann auch eine Adresse, wohin man seine Anfrage schicken sollte. So schrieb ich dann mutig auf deutsch eine Mail an Frau Hanne Nelander und .... Nun ja, es dauerte etwas. Nach fast zwei Monaten kam endlich eine Antwort. Frau Nelander schickte mir eine Liste, mit all den Stücken, die noch zu bekommen seien. Sie teilte mir auch mit, wie man bei Ihr bestellt. So orderte ich und tätigte meine erste Auslandsüberweisung. Das Warten begann aufs Neue. Dazu muss man sagen, meine Bestellung fiel genau in die Vorweihnachtszeit. Während dieser Zeit scheint es so, als wenn die Post Ewigkeiten braucht, um ein Paket von A nach B zu bringen. Pünktlich zum Jahreswechsel kam das Paket bei mir an. Und da war es wieder, dieses Kindliche Glücksgefühl. Das Auspacken des Paketes mit den Stücken war für mich so spannend wie noch nie. Die Texte waren um Einiges besser, als die die ich bis dahin kannte. Und erst die dazugehörigen Bühnenbilder... All das zog mich für einige Stunden in seinen Bann.Von nun an war ich dem Papiertheater verfallen.
Meine erste Bühne erschien mir nun auch nicht mehr geeignet und so beschloss ich, es muss eine Neue her. Dazu holte ich mir diesmal Rat und Hilfe bei sehr guten Bekannten, die ich bei meinem anderen Hobby kennen und schätzen gelernt hatte. Mit diesen verbindet mich heute eine Freundschaft, welche ich nicht missen möchte. Der Mann ist ein gelernter Tischler, der heute zwar nicht mehr in seinem Beruf arbeitet, aber hin und wieder doch noch das ein oder andere Holzstück bearbeitet. Diesen bat ich um Hilfe und bekam sie auch. So wanderte meine Bühne von Vorpommern ins Brandenburgische und wurde nun fachgerecht neu aufgebaut. Sie dient mir bis heute als Reisebühne.
Auch seine Ehefrau wurde vom Papiertheatervirus befallen. So fragte sie mich, ob wir nicht bei der nächsten Zeitreise eine Vorstellung geben wollen. Die Wahl fiel auf "Orpheus in der Unterwelt". Schnell stand für uns fest, dass wir auch die beiden im Stück vorkommenden Lieder singen werden. So begannen wir zu proben. Mittlerweile hatte mich die Liebe auf die Insel Usedom verschlagen. Meine Mitstreiter leben im Brandenburgischen, also übten wir am Telefon den Text und den Gesang ein.
In der Zwischenzeit war es Sommer geworden. Ich hätte endlich Zeit mir meine Bühne abzuholen, um sie für die Premiere vorzubereiten. Aber es sollte ganz anders kommen, als geplant. Ca. 4 Wochen bevor ich mir meine Bühne holen wollte, fragten mich meine Freunde, ob wir nicht zum am 5. Juli stattfindenden Turmfest ein Stück aufführen wollen. Natürlich nicht den Orpheus sondern sie dachten eher an ein Märchen. Oh je, in vier Wochen ein ganz anderes Stück und dann auch noch ohne großes Proben vorher? Ich weiß bis heute nicht, welcher Teufel mich da geritten hatte, ja zu sagen, aber ich tat es.
In meinem Fundus befand sich das Märchen das "Feuerzeug" von Prior. Innerhalb kürzester Zeit waren die Kulissen angefertigt, die Figuren ausgeschnitten und soweit als möglich übte ich.
Wie ein Damoklesschwert hing der Premierentermin über mir. Ich kann nicht gerade behaupten, dass es mir die Tage vorher gut gegangen ist. Am liebsten hätte ich gekniffen.
Aber es half Nichts, zugesagt ist zugesagt und ich stehe zu meinem Wort.
Einen Tag zuvor reisten wir an. Diesen Tag brauchten wir auch, um uns beide mit der Bühne vertraut zu machen.
Dann war er endlich da - der Tag der Premiere. Ich fühlte mich wie ein Schüler vor der alles entscheidenden Prüfung. Mir war gar nicht gut. Nach dem Gottesdienst sollten wir beginnen. Relativ schnell bauten wir die Bühne auf. Ich wunderte mich nur kurz darüber, wie reibungslos dies ging. Die Bühnenbilder waren bereitgelegt. Das Bühnenbild zum ersten Akt war an Ort und stelle. Noch einmal kurz durchatmen, dann kamen auch schon die ersten Zuschauer. Binnen weniger Minuten waren alle Plätze besetzt.
Zum ersten Mal trat ich vor die Bühne. Fast wie ferngesteuert begrüßte ich die Zuschauer. Ich hatte Lampenfieber. Froh war ich, als ich wieder hinter unserem Sichtschutz war und das Spiel begann. Der erste Akt ging ohne Zwischenfall vorüber beim Zweiten fiel mir mein Text zu Boden. Es kam zu einer kurzen Verzögerung da die Blätter lose waren.
Die weiteren Akte gingen danach problemlos über die Bühne. Bis auf kleinere Anfängerfehler bei der Figurenführung ging Nichts weiter schief. Seit diesem Tag, habe ich keine losen Blätter mehr, sonder ich binde die Texte.
Trotz dieser kleinen Patzer wurde unser Spiel gewürdigt und wir erhielten verdienten Beifall. Viele der Zuschauer nutzten nach der Vorstellung auch das Angebot, die Bühne zu besichtigen. Wir betrachteten dies als eine gelungene Übung und wussten nun auch, worauf wir beim Zusammenspiel achten mussten.
Die Premiere des Orpheus im August rückte näher und näher. Dann war es soweit - der Tag der Premiere. Damit diesmal wirklich nichts schiefgeht, führten wir eine Generalprobe durch. Zum ersten Mal begleitete uns auch eine Pianistin. Sie spielte die Ouvertüre und begleitete unsere Gesangseinlagen. Bei dieser Probe korrigierten wir noch den einen oder anderen Fehler. Gegen 20.00 Uhr war unsere Aufführung angesetzt. Es blieb uns noch viel Zeit. So neigte sich der Tag seinem Ende zu. Nach einem hervorragenden Dinner begann unsere Vorstellung mit einer leichten Verspätung.
Unsere Zuschauer, die Damen in ihren großartigen Abendroben und die Herren im Frack, nahmen im Salon vor der Bühne platz. Die Szenerie, die sich uns dabei bot, hätte sich in der Tat, so im Jahre 1885 abspielen können. Die Ouvertüre erklang und langsam hob sich der Vorhang. Unser Spiel begann und Alles klappte diesmal ohne einen einzigen Zwischenfall. Kein Patzer, keine Versprecher, Alles lief so, wie es sein sollte. Das Publikum war begeistert. Einige der Damen hatten danach sogar einen Ohrwurm mit dem Lied des Prinzen von Arkadien.
An diesem 29. August 2009 begann das Papiertheater Heringsdorf ganz offiziell seinen Spielbetrieb. Zum Repertoire gehören neben Märchen und Schauspielen auch Operetten und Opern.
Papiertheater Heringsdorf,
Geschichte meines Theaters
09.04.2017